Gramsci analysiert die 1930er Jahre als krisenhaften Umbruch eines kapitalistischen Entwicklungsmodells. Der herrschende Block wird „saturiert“. Keine Herrschaftsform jedoch, so Gramsci, gesteht ein, „dass sie überholt ist“. In solchen Situationen entsteht das Terrain, „auf dem sich die antagonistischen Kräfte organisieren“, während die saturierte Klasse als „bornierte Clique […] danach trachtet, ihre schäbigen Privilegien zu verewigen, indem sie die Entstehung von Gegenkräften reguliert oder sogar erstickt“.
In diesem „Interregnum“, in dem das Alte stirbt, das Neue jedoch nicht zur Entfaltung kommt, restrukturiert sich auch der Machtblock. Verschiedene Kapitalfraktionen ringen um die Vorherrschaft. Die Gegenbewegungen der 1930er Jahre konnten diesem „wandlungsfähigen Organismus“ (Marx) der kapitalistischen Produktionsweise keine wirkungsmächtige „antagonistische Logik“ (Lelio Basso) entgegensetzen. Der europäische Faschismus zerschlug die Organisationen der Arbeiterbewegung und ermöglichte eine militärisch forcierte Modernisierung der Ökonomie. Der New Deal in den USA bereitete den Weg zu einem Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital, der eine fordistische Expansion des Kapitalismus ermöglichte.
Auch heute stößt ein kapitalistisches Entwicklungsmodell zunehmend an Schranken. Der Machtblock aus Finanz- und Exportkapital verteidigt nur noch seine Privilegien. Gegen die saturierte neoliberale Herrschaft richten sich Gegenbewegungen: in der Gesellschaft gegen eine sich als alternativlos darstellende Austeritätsphalanx; in der Politik gegen etablierte Volksparteien; in den Betrieben gegen Formen und Auswirkungen korporatistischer Wettbewerbspakte zwischen Kapital und Arbeit. Als Gegenbewegungen fungieren jedoch nicht nur linke Oppositionsgruppen, sondern verstärkt auch rechtspopulistische, nationalistische oder neofaschistische Strömungen.
Die 12. Braunschweiger Gramsci-Tage beleuchten traditionelle und aktuelle Formen von Gegenbewegungen, ihre Entstehungsbedingungen, Organisationsformen, Widersprüche. Sie fragen auch nach der „Reaktion der herrschenden Klassen auf das sporadische und unorganische Umstürzlertum der Volksmassen“ (Gramsci). Welchen Pfad schlägt der saturierte Gegenwartskapitalismus ein? Nimmt ein restrukturierter Machtblock Teile der Forderungen rechter Gegenbewegungen auf, wendet sich autoritär- chauvinistisch? Oder kann eine sich entfaltende antagonistische Gegenmacht ihm Zugeständnisse abringen, die Korridore demokratisch-fortschrittlicher Transformation des Kapitalismus eröffnen?