Antonio Gramsci (1891 – 1937) war Journalist, Philosoph und Politiker. Er war Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens. Sein philosophisches Lebenswerk ist in den “Gefängnisheften” niedergelegt, die er während einer langjährigen Kerkerhaft während der faschistischen Herrschaft geschrieben hat. Er hat dabei die marxistische Theorie und die darauf basierenden politischen Strategien weiterentwickelt. Sein “offener Marxismus” gibt gerade in der heutigen Situation eine gute Grundlage für die Analyse des aktuellen Kapitalismus und Anregung zur Entwicklung emanzipatorischer Strategien.
Die Braunschweiger Gramsci Tage finden jährlich statt und sollen einen Beitrag zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins gegenüber den herrschenden neoliberalen Denkmustern leisten, die bisher die Bereitschaft zu einem Politikwechsel lähmen bzw. ihn undenkbar erscheinen lassen. Sie verknüpfen aktuelle Debatten der gesellschaftlichen Linken mit der Vermittlung von theoretischen Erkenntnissen zur Analyse kapitalistischer Zusammenhänge. In der Tradition von Antonio Gramscis Philosophie der Praxis bieten sie einen Raum, in dem sich die Aneignung von Wissen mit der Diskussion theoretischer und praktischer Probleme der Emanzipation von Herrschaft und Unterwerfung verbindet. Darüber hinaus wollen sie für politisch Aktive der Region ein Forum des Austausches und der Vernetzung sein.
Für den in der Namensgebung gewählten Bezug auf Gramsci waren drei Gründe ausschlaggebend. Erstens überzeugt Gramsci durch sein leidenschaftliches Engagement für die entrechteten und ausgebeuteten Klassen und durch seinen Kampf gegen den Faschismus. Zweitens eröffnet Gramsci durch seinen kreativen, undogmatischen und scharfsinnigen Umgang mit dem Marxismus neue Sichtweisen, die ihn in eine Reihe mit Rosa Luxemburg stellen. Seine auf dem historischen Materialismus basierenden Konzeptionen – zum Beispiel über Staat, Partei oder Demokratie – sind zu prüfen, ob sie sich für eine theoretische Fundierung einer sozialistischen Politik in der heutigen Zeit eignen. Und drittens hat Gramsci über seinen Hegemoniebegriff in überzeugender Weise die Notwendigkeit einer kulturellen Praxis begründet, die auch heute noch einen wichtigen Beitrag zur Orientierung der politischen Arbeit leisten kann.
Dabei können wir nicht erwarten, dass man bei Gramsci – mehr als 70 Jahre nach seinem Tod – fertige Antworten auf unsere aktuellen politischen Fragen finden kann. Was wir aber nutzen können, ist seine Art und Weise, diese Fragen zu analysieren und Antworten zu formulieren. Die Namensgebung, – also „Gramsci Tage“ – soll also auf diese Tradition im politischen Denken und Handeln verweisen. Dass heißt nicht, dass auf zukünftigen Gramsci-Tagen nicht auch andere politische Denker im Mittelpunkt stehen werden, soweit deren Werk in einem Bezug zur Gramscianischen Tradition steht.