Gramsci Tage 2014, Exposés

Freitag 21. November 2014

Keynote

Dr. Hans-Jürgen Urban
„Die Hegemonie entspringt in der Fabrik…“
Arbeits- und Lebenspolitik im Gegenwartskapitalismus

Die Hegemonie entspringt in der Fabrik, behauptet Antonio Gramsci in seiner Analyse von Fordismus und Amerikanismus, und sie prägt die gesamte Lebensführung der Subalternen. Ist dieser Blick auf die Wirkungsmacht der Organisation der kapitalistischen Arbeit und damit den Ursprung kapitalistischer Hegemonie auch ein geeigneter Zugang zur Analyse des Gegenwartskapitalismus? Wenn das gegenwärtig dominierende Shareholder Value-Regime die gesamte Gesellschaft und die Lebensweise abhängig Arbeitender im gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus prägt, wird gegentendenzielle Arbeitspolitik, ob sie es will oder nicht, zur Gesellschafts- und Lebenspolitik. Was ist davon zu halten und welche Konsequenzen hätte dies? Für die Gewerkschaften und die Linke insgesamt? Mit Fragen wie diesen will sich der Vortrag beschäftigen

Rezitation und Jazz

Angelika Uminski; Dallmann, Haas & Lamby
„Was sich nicht organisch fügen will, soll wenigstens anschaulich klaffen.“

Die rezitierten Reflektionen über den Zusammenhang von Arbeit, Herrschaft und Emanzipation aus politökonomischer Theorie, Literatur und Lyrik werden historisch-kritisch kommentiert. Sie bieten einen Streifzug durch die Geschichte kapitalistisch form- und fremdbestimmter Arbeit, den Widerstand der Arbeitenden und das Denken über die Befreiung in unterschiedlichen Phasen der kapitalistischen Produktionsweise. Gerahmt werden die Rezitationen durch begleitende u. kommentierende Jazz-Improvisationen

Samstag 22. November 2014

Seminare

Orhan Sat
Hegemonie als Kampf um den Alltagsverstand

Einführung in die zentralen Fragestellungen und Begriffe der Theorie Antonio Gramscis. Im Mittelpunkt stehen seine Konzepte der Hegemonie und des Alltagsverstandes. Beide bilden unverzichtbare Grundlagen für das Verständnis sowohl von herrschender politischer Praxis als auch für die Entwicklung historischer Alternativen.

Dr. Bernd Röttger
Braverman, die Arbeitsprozess-Debatte und Perspektiven kritischer Arbeitsforschung heute

Diskutiert werden die zentralen Thesen des Werkes von Braverman zur Entwicklung der Arbeit, zur Funktion des Managements, zur Organisation von Zustimmung der Beschäftigten zur betrieblichen Rationalisierung und zu den Perspektiven der beruflichen Fertigkeiten. Die Thesen werden vor ihren empirischen Hintergründen und in ihren theoretischen Bezügen erörtert. Schließlich soll ihr Potential für Analyse und Kritik des Arbeitsprozesses im Gegenwartskapitalismus ausgelotet werden.

Vortrag

Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling
Von Braverman zu Gramsci? Arbeit und Politik im transnationalen Kapitalismus – Konsequenzen für eine praktische Kapitalismuskritik

Der Vortrag thematisiert ausgehend von Bravermans Thesen und der daran anschließenden Arbeitsprozess-Debatte  die Frage, wie die Perspektive der Befreiung in der Arbeit unter den Bedingungen einer transnationalen Produktionsweise neu durchbuchstabiert werden muss. Angereichert durch regulationstheoretische und gramscianische Fragestellungen  werden Elemente einer praktischen Kapitalismuskritik heute entwickelt.

Vortrag

Udo Achten
Mehr Zeit für uns!
Nicht um zu arbeiten leben wir, wir leben um zu arbeiten.
Thesen zum Recht auf Arbeit und zum Recht auf Faulheit

Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist auch ein Kulturkampf. Wenn Muße nicht nur das Privileg einen Minderheit sein soll, müssen sowohl Arbeitszeit und deren Lage auf den Prüfstand.

Round Table Diskussion

Uwe Fritsch, Dr. Wolfgang Neef, Ulrike Obermayr, Hans-Georg Zienczyk
Kompetenz und Bildung – für was und für wen eigentlich?
Qualifikation zwischen Kapitalverwertung und Selbstbefähigung

Gehörte die De-Qualifizierung der lebendigen Arbeit (Braverman) noch zur Funktionsweise des fordistischen Kapitalismus, wurden (fachliche u. soziale) »Kompetenzen«, die Bereitschaft zu »lebenslangem Lernen« u. »qualifiziertes Wissen« inzwischen quasi zu Einstellungsvoraussetzungen des modernen Produktionsprozesses im Gegenwartskapitalismus. Die Qualifizierung der Beschäftigten ist vom Kapital gewollt. Peter Weiss notierte in seiner Ästhetik des Widerstands, dass »ökonomische Begünstigung« von der »Überlegenheit des Wissens« nicht zu trennen ist – und folgert: »Ehe wir uns Einblick in die Verhältnisse verschafft und grundlegende Kenntnisse gewonnen hatten, konnten die Privilegien der Herrschenden nicht aufgehoben werden. Immer wieder wurden wir zurückgeworfen, weil unser Vermögen des Denkens, des Kombinierens und Folgerns noch nicht genügend entwickelt war.« An späterer Stelle vermerkt, dass »die Befreiung […] uns nicht gegeben werden« kann; »wir müssen sie selbst erobern. Erobern wir sie nicht selbst, so bleibt sie für uns ohne Folgen.« –
Wie ist die Qualifizierungsoffensive des Gegenwartskapitalismus einzuschätzen? Tritt den Beschäftigten ihre eigene Qualifikation als »fremde Macht« (Marx) gegenüber, die ihnen nur aufgezwungen ist? Oder wird sie als Ausweitung des eigenen Handlungskorridors wahrgenommen? Welchen Interessen dient sie? Und für was und wen kann sie eingesetzt werden? Unstrittig ist, dass Betriebsräte zunehmend qualifizierte Aufgaben in der betrieblichen Mitbestimmung wahrnehmen, die teilweise weit über verbriefte Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes hinausweisen. Auf dem Podium werden Praxen, Voraussetzungen, und Ziele der sog. Re-Qualifizierung der lebendigen Arbeit diskutiert