Gramsci Tage 2015, Exposés

Thomas Piketty (geb. 1971) ist ein Prof. für Ökonomie in Paris. Sein 2013 zunächst auf Französisch erschienenes Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert (dt.: München 2014) hat sich in vielen Ländern zu einem Bestseller entwickelt. Es löste eine neue internationale Debatte über die Entwicklung sozialer Ungleichheit aus. Der Nobelpreisträger für Ökonomie Paul Krugman spricht von einer »Piketty-Revolution«, die die öffentlichen Debatten über Reichtum und Ungleichheit umpflüge. Pikettys Studie gilt seitdem als ein Meilenstein für eine theoretisch informierten und empirisch gesättigten Analyse und Kritik des Kapitalismus im 21. Jahrhundert.

Der französische Wirtschaftshistoriker Thomas Piketty zeigt in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert, dass die kapitalistische Produktionsweise am Ende des 19. Jahrhunderts eine immense Kluft zwischen den Einkommen der Lohnarbeitenden und der Produktionsmittelbesitzer bewirkte. Die ökonomische Prosperität und die Klassenkompromisse nach dem Zweiten Weltkrieg konnten diese klassenförmige Ungleichheit kurzzeitig abmildern. Seit Mitte der 1970er Jahre jedoch muss erneut eine dramatische Verschärfung ungleicher Einkommensverteilung zugunsten von Rentiers und Vermögensbesitzern konstatiert werden. Piketty sieht die entwickelten Kapitalismen auf dem Weg zu „Patrimonialgesellschaften“.

Seine Forderung nach einer „international koordinierten Besteuerung der Reichen“ prallt jedoch an der „konzentrierten gesellschaftlichen Macht“ (Karl Marx) des Kapitals ab. Gegenüber moralischer Kritik, Protesten der Straße, selbst gegenüber demokratischen Regierungswechseln und Referenden zeigt sich die transnationale Phalanx aus Gläubiger- und Kapitalinteressen immun. In der kapitalistischen Wirklichkeit erschöpft sich soziale Ungleichheit nicht in einer Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums; sie korrespondiert auch auffällig mit unterschiedlicher Machtverteilung der gesellschaftlichen Klassen.

An diesen klassen- und herrschaftsblinden Flecken in Pikettys Analyse setzen die Braunschweiger Gramsci Tage an. Auf den ersten Blick scheint der Machtblock stabil. Seine Fähigkeit aber, Krisen zu überwinden, hat er eingebüßt. Antonio Gramsci bezeichnete eine solche Situation als „Interregnum“, in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“. Die Braunschweiger Gramsci Tage wollen in der gramscianischen Perspektive einer „Philosophie der Praxis“ den Komplex herrschaftlicher Orchestrierung von Ungleichheiten entziffern: auf der einen Seite als Grundlage und Folge verfestigter  Herrschaftsverhältnisse, auf der anderen Seite als Quelle, aus der Handlungsfähigkeit der „subalternen Klassen“ (Gramsci) erwachsen kann,  die Veränderungen im Machtgefüge möglich werden lässt.

Die komplette Einleitung des Buches Das Kapital im 21. Jahrhundert (mit den wichtigsten Thesen) des Buches findet sich unter: http://www.chbeck.de/fachbuch/leseprobe/Leseprobe_das-Kapital-im-21-Jahrhundert.pdf

Ein Interview der Süddeutschen Zeitung (27. März 2014) mit Piketty ist unter dem Titel »Ungleichheitsforscher Piketty: Das Kapital ist zurück« abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ungleichheitsforscher-thomas-piketty-das-kapital-ist-zurueck-1.1917835

Pikettys Analyse ist nicht ohne Kritik geblieben. Eine kleine Auswahl online verfügbarer Texte:

Joachim Bischoff u. Bernhard Müller, Piketty kurz & kritisch. Eine Flugschrift zum Kapitalismus im 21. Jahrhundert, Hamburg 2015 (Leseprobe unter: http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-bischoff-mueller-piketty.pdf)

Peter Bofinger, Gustav Horn, Kai D. Schmid u. Till van Treeck (Hg.), Thomas Piketty und die Verteilungsfrage. Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland, März 2015 (http://www.boeckler.de/pdf/Piketty_Verteilungsfrage.pdf)

Nils Minkmar, »Zu Besuch bei Thomas Piketty. Der neue Star der Intellektuellenszene«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Mai 2014 (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zu-besuch-bei-thomas-piketty-der-neue-star-der-intellektuellenszene-12927888.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)

Rainer Rilling, »Thomas Piketty und das Märchen vom Gleichheitskapitalismus«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2014, 81-91 (https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/november/thomas-piketty-und-das-maerchen-vom-gleichheitskapitalismus)

Veröffentlichungen von Hans-Günter Thien zum Thema der Gramsci Tage:
Thien, Die verlorene Klasse. ArbeiterInnen in Deutschland, Münster 2010; Thien (Hg.), Klassen im Postfordismus, 2. Aufl. Münster 2011; Thien, Klassentheorien – Die letzten 50 Jahre, in: PROKLA, 44.Jg. (2014), Nr. 175, S. 163-190

Veröffentlichungen von Catharina Schmalstieg zum Thema:
Prekarität und kollektive Handlungsfähigkeit
Gewerkschaftsarbeit im Niedriglohnsektor. Das Beispiel USA.


 

 

Gramsci Tage 2015

Kapital und Klassen im 21. Jahrhundert.
Soziale Ungleichheit heute  – Über Piketty hinaus denken

Termin: Freitag, den 20. November 2015 u. Samstag, den 21. November 2015
OrtHaus der Kulturen e.V., Am Nordbahnhof 1, 38106 Braunschweig

Tagungsbericht (neu eingestellt am 22.12.2015)

Bilder von der Veranstaltung

Bilder der Szenischen Lesung „Polnische Perlen“ mit Fanny Staffa und David Kosel, Ankündigung der Veranstaltung

Vortrag Orhan Sat: „Eine Einführung in die politische Theorie Antonio Gramscis“

Vortrag Prof. Dr. Klaus Dörre: „Die neue soziale Ungleichheit aus der Perspektive der Klassentheorie:“

Flyer zum Ausdrucken

Plakat zum Ausdrucken

ReferentInnen

Exposés

Abendveranstaltung am Freitag: Lesung Polnische Perlen