Termin:
Freitag, den 20. November 2015 und Samstag, den 21. November 2015
Ort:
Haus der Kulturen e.V., Am Nordbahnhof 1, 38106 Braunschweig
Zum Thema:
Der französische Wirtschaftshistoriker Thomas Piketty zeigt in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert, dass die kapitalistische Produktionsweise am Ende des 19. Jahrhunderts eine immense Kluft zwischen den Einkommen der Lohnarbeitenden und der Produktionsmittelbesitzer bewirkte. Die ökonomische Prosperität und die Klassenkompromisse nach dem Zweiten Weltkrieg konnten diese klassenförmige Ungleichheit kurzzeitig abmildern. Seit Mitte der 1970er Jahre jedoch muss erneut eine dramatische Verschärfung ungleicher Einkommensverteilung zugunsten von Rentiers und Vermögensbesitzern konstatiert werden. Piketty sieht die entwickelten Kapitalismen auf dem Weg zu „Patrimonialgesellschaften“.
Seine Forderung nach einer „international koordinierten Besteuerung der Reichen“ prallt jedoch an der „konzentrierten gesellschaftlichen Macht“ (Karl Marx) des Kapitals ab. Gegenüber moralischer Kritik, Protesten der Straße, selbst gegenüber demokratischen Regierungswechseln und Referenden zeigt sich die transnationale Phalanx aus Gläubiger- und Kapitalinteressen immun. In der kapitalistischen Wirklichkeit erschöpft sich soziale Ungleichheit nicht in einer Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums; sie korrespondiert auch auffällig mit unterschiedlicher Machtverteilung der gesellschaftlichen Klassen.
An diesen klassen- und herrschaftsblinden Flecken in Pikettys Analyse setzen die Braunschweiger Gramsci Tage an. Auf den ersten Blick scheint der Machtblock stabil. Seine Fähigkeit aber, Krisen zu überwinden, hat er eingebüßt. Antonio Gramsci bezeichnete eine solche Situation als „Interregnum“, in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“. Die Braunschweiger Gramsci Tage wollen in der gramscianischen Perspektive einer „Philosophie der Praxis“ den Komplex herrschaftlicher Orchestrierung von Ungleichheiten entziffern: auf der einen Seite als Grundlage und Folge verfestigter Herrschaftsverhältnisse, auf der anderen Seite als Quelle, aus der Handlungsfähigkeit der „subalternen Klassen“ (Gramsci) erwachsen kann, die Veränderungen im Machtgefüge möglich werden lässt.
Programm:
Freitag, 20. November 2015
ab 16.00h Einlass, Anmeldung
17.00h Begrüßung: Andreas Klepp / BIAP, Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen, Grußwort: Hansi Volkmann / DGB Region SüdOstNiedersachsen
17.30h Vortrag, Dr. Bernd Röttger / Braunschweig
Piketty, die herrschaftliche Orchestrierung sozialer Ungleichheit und praktisch Dialektik heute
anschießend: Diskussion
19.00h Pause mit der Möglichkeit zum Imbiss
20.00h Szenisch-musikalische Lesung, Fanny Staffa und David Kosel:Polnische Perlen (nach der Produktion von Werkgruppe 2 und Staatstheater Braunschweig)
21.30h gemeinsamer Ausklang
Samstag, 21. November 2015
09.30h Eintreffen der Teilnehmenden bei Kaffee/Tee
10.00h Vortrag, Prof. Dr. Klaus Dörre / Universität Jena: Die neue soziale Ungleichheit aus der Perspektive der Klassentheorie
anschließend: Diskussion
12.00h Pause mit der Möglichkeit zum Imbiss
13.00h Parallele Workshops
(1) Geschichte und Aktualität der Klassentheorie(n), Leitung: Prof. Dr. Hans-Günter Thien / Universität Münster / Verlag Westfälisches Dampfboot
(2) Prekarität und Handlungsfähigkeit, Leitung: Christina Kaindl / Die Linke, Bundesgeschäftsstelle, Leiterin des Bereichs Strategie und Grundsatzfragen
(3) Einführung in Grundbegriffe der Theorie Antonio Gramscis, Leitung:Orhan Sat / DGB Region Nordostniedersachsen
Pause
15.00h Podiumsdiskussion / Streitgespräch
Ungleichheit und kollektive Handlungsfähigkeit. Kontroversen zu Gewerkschaften, neuen Arbeitskonflikten und Perspektiven einer praktischen Kapitalismuskritik
mit: Katja Derer / NGG Region Süd-Ost-Niedersachsen, Dr. Catharina Schmalstieg / Communications Workers of America (CWA), Prof. Dr. Klaus Dörre, Christina Kaindl, Prof. Dr. Hans-Günter Thien
Intervenierende Moderation: Andreas Klepp und Dr. Bernd Röttger
17.00h Schlusswort, Norbert Kuess / BIAP
Die Veranstaltung wird in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen e.V. und dem DGB Region SüdOstNiedersachsen organisiert.