Die soziale Schieflage in den Corona-Programmen – Wer trägt die Lasten, wer profitiert?

Vorträge, Kulturbeitrag und Abschlussdiskussion – Präsenz- und Onlinekonferenz

Ort und Zeit:
Gewerkschaftshaus Braunschweig, Wilhelmstraße 5, 38100 Braunschweig
Mittwoch, den 9. Dezember 2020, 18 bis 21 Uhr
Ankündigungstext als PDF-Datei

Programm

18.00 Uhr | Begrüßung und Einführung
Denise Steinert, Gewerkschaftssekretärin DGB Region SüdOstNiedersachsen
Norbert Kueß, Braunschweiger Initiative für eine andere Politik (BIAP)

18:15 Uhr | Vortrag
Klaus-Dieter Gleitze, Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz Niedersachsen
Die soziale Schieflage und Corona

18:45 Uhr | Kulturbeitrag
KünstlerInnenkollektiv M.Pört (Tristan Jorde und Kristin Kehr)
aaarm und RRREICH – Ohne Empörung sind wir nur Mitläufer
eine politisch-musikalisch-theatrale Revue aus Texten und Liedern
oder auch: eine Opera povera in 3 Akten (Ausschnitte aus dem aktuellen Programm)

19:15 Uhr | Vortrag
Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik e.V.
Gerechte Steuerpolitik zur Finanzierung eines sozial-ökologischen Umbaus

20:00 Uhr | Plenumsdiskussion zur politischen Strategie
Zurück zur „Normalität“ oder Transformation in eine sozial-ökologische Gesellschaft? – Erkenntnisse aus der „Corona-Krise“ über den Zustand der kapitalistischen Gesellschaft und politische Perspektiven
mit Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup, Prof. Dr. Frank Deppe, Klaus-Dieter Gleitze,
Manuela Kropp und Dr. Nadja Rakowitz

21:00 Uhr | Abschluss und Verabschiedung

Die Vortragenden, Diskutant*innen und Künstler*innen sind online zugeschaltet.

Die Braunschweiger Gramsci Tage finden seit 2007 jährlich statt. Sie verknüpfen aktuelle Debatten der gesellschaftlichen Linken mit der Vermittlung von theoriegeleiteten Fertigkeiten zur Analyse kapitalistischer Zusammenhänge. In der Tradition von Gramscis Philosophie der Praxis wollen sie einen Raum bieten, in dem sich die Aneignung von Wissen mit der Diskussion theoretischer und praktischer Probleme der Emanzipation von Herrschaft und Unterwerfung paart. Die 14. Braunschweiger Gramsci Tage erfolgen in Kooperation der Braunschweiger Initiative für eine andere Politik, der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen e.V., dem Deutschen Gewerkschaftsbund Region SüdOstNiedersachsen und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft – Bezirksverband Braunschweig.

Referent*innen und Diskutant*innen

Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup | Emeritus der Westfälischen Hochschule, Präsidiumsmitglied des Gemeinnützigen Instituts für Wissenschaft, politische Bildung und gesellschaftliche Praxis, Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik e.V. (Memorandum-Gruppe)

Prof. Dr. Frank Deppe | Emeritus der Phillips Universität Marburg, Wissenschaftlicher Beirat der Rosa Luxemburg Stiftung, Mitherausgeber der Zeitschrift Sozialismus und Mitglied im Redaktionsbeirat der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung

Klaus-Dieter Gleitze | Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz Niedersachsen (LAK)

Manuela Kropp | Projektmanagerin bei der Rosa Luxemburg Stiftung, Büro Brüssel

Dr. Nadja Rakowitz | Politikwissenschaftlerin, Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Bündnis Krankenhaus statt Fabrik

Zum Thema

Die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts hat der bereits seit Jahrzehnten im Krisenmodus agierenden globalisierten und deregulierten Weltökonomie einen scheinbar externen Schock versetzt. Finanzmittel in ungekannter Höhe werden mobilisiert, um die Folgen des zwangsweisen Stillstands zu mildern, die Potentiale für einen neuen Aufschwung zu sichern und das Rad mit Konzepten einer kapitalistisch motivierten Konversion wieder anzuwerfen.

Die Situation markiert einen „… Knotenpunkt der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung … Von ‚Transformation‘ ist die Rede. Ob es sich dabei um eine sozial-ökologische Transformation des Kapitalismus oder über diesen hinaus handelt (und wo dabei die Grenzen liegen), ist offen. Ich plädiere für eine erneuerte Sozialismus-Debatte – gerade auch in der gewerkschaftlichen Linken.“ (Frank Deppe)

In den Vorträgen und in der Diskussion geht es um kritische Gegenwartsanalysen und Perspektiven für eine linke politische Strategie.

Vorträge

18:15 Uhr Klaus-Dieter Gleitze | Soziale Schieflage und Corona

„Mit 15,9 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen historischen Wert erreicht. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung. Über 13 Millionen Menschen sind betroffen … Der Wiederanstieg der Armut in 2019 erfolgte in Deutschland praktisch flächendeckend. … Das höchste Armutsrisiko haben nach wie vor Arbeitslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), Menschen mit niedriger Qualifikation (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent) … Die mit Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos zeigt im längerfristigen Vergleich die Gruppe der Rentner*innen und Pensionär*innen.“ (Der Paritätische Armutsbericht 2020)

Die LAK fordert gemeinsam mit Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverband Deutschland gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung, Umverteilung statt Ausgrenzung, ein menschenwürdiges Existenzminimum, soziale Sicherheit statt Armut und Partizipation der Betroffenen. (Gemeinsame Erklärung von Landesarmutskonferenz (LAK) Niedersachsen, DGB Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt, Diakonie in Niedersachsen, Caritas in Niedersachsen, SoVD-Niedersachsen e.V. und ver.di Niedersachsen-Bremen)

19:15 Uhr Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup |
Gerechte Steuerpolitik zur Finanzierung eines sozial-ökologischen Umbaus

Die Corona-Pandemie ist eine Folge des ungebremsten Vordringens der kapitalistischen Globalisierung in die Naturräume. Die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung führten weltweit zum Einbrechen der Produktion. Die Folgen dieses Wirtschaftseinbruchs treffen die unteren Einkommensgruppen besonders hart, die oberen Einkommensgruppe weniger, und einige Superreiche profitieren exorbitant.

Die Situation zeigt einmal mehr die Unfähigkeit eines sich selbst überlassenen Kapitalismus zur Krisenbewältigung und zu einer zukunftsgerichteten ökologischen Modernisierung. Zu den keynesianischen Eingriffen mit einer massiven Staatsverschuldung gibt es keine Alternative. Fatal wäre zum Schuldenabbau aber ein Rückfall in Austeritätspolitik und Ausgabenkürzungen. Stattdessen ist eine gerechte gesellschaftliche Kosten- und Lastenverteilung notwendig, auch um die soziale Schere wieder ein Stück weit zu schließen und die „räuberische Überersparnis“ (Keynes) von Superreichen abzubauen.

Dieses gelingt über eine Vermögensabgabe (Lastenausgleich), die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer und einen umfassenden sozial-ökologischen Umbau des Steuersystems. Ziel muss eine Wirtschaftsdemokratie mit einer gerecht verteilten Wertschöpfung für alle sein. (Memorandum-Gruppe: Erklärung zum Jahresgutachten 2020/211 des SVR)

Die Forderungen nach einer einmaligen Vermögensabgabe und einer gesellschaftlichen Debatte über eine umverteilende Steuerpolitik wurden vom ver.di-Bundesvorstand bereits im April 2020 aufgegriffen.

Vorangegangene Tagungen

5. November 2020 | Sozial-ökologische Transformation statt European Green Deal
Vortrag und Diskussion
mit Manuela Kropp (RLS-Büro Brüssel), Oliver Holzhauer (Vertrauenskörper VW Braunschweig), Lukas Meuer (Fridays for Future Braunschweig), Orhan Sat (ver.di Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen) und Edmund Schultz (Extinction Rebellion Braunschweig)

Der Verkehrssektor ist für 27% der Treibhausgase in der EU verantwortlich, drei Viertel davon sind dem Straßenverkehr zuzuschlagen. Die Automobilindustrie beschäftigt in Europa 12 Mio. Menschen, über 800.000 in Deutschland. Die Strategie von EU-Kommission und Bundesregierung, der andauernden und durch die Corona-Pandemie noch einmal beförderten Absatzkrise der Branche zu begegnen, besteht in einer rigorosen Wende zur Elektromobilität – beim Individualverkehr – unter Veränderung der vorhandenen Wertschöpfungsstrukturen, weitgehender Ignoranz der ökologischen Folgen und Ignoranz der Folgen für die Beschäftigten.

Notwendig hingegen ist eine Mobilitätswende im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation. Um dafür die erforderliche Durchsetzungsmacht zu entfalten, bedarf es eines strategischen Bündnisses von Klimabewegung, Gewerkschaften und linker Politik. Potentiale hierfür bieten Konzepte wie „Just Transition“ und der „Green New Deal“, wie er vom „Sunrise Movement“ und linken Demokraten in den USA propagiert wird.

Hierüber bestand Einigkeit zwischen den Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion, die für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit verabredeten.

18. November 2020 | Gesundheit für alle statt Profite für wenige
Vortrag und Diskussion
mit Dr. Nadja Rakowitz (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte) und Antje Pohle (ver.di; Sprecherin der Vertrauensleute im Städt. Klinikum Braunschweig)

Corona trifft auf ein Gesundheitssystem, das – nach dem Solidarprinzip entstanden, seit den 1990er Jahren systematisch kapitalisiert wurde. Gesundheitsleistungen sind zu einer Profitquelle für Investoren geworden. Die Folge ist ein Überangebot an lukrativen, aufwändigen medizinischen Eingriffen und eine Unterversorgung in der zeit- und personalintensiven Pflege und Therapie – mit der Folge einer hohen Arbeitsverdichtung zum Nachteil des Pflegepersonals und der Patient*innen.

Die Forderungen des Bündnisses Krankenhaus statt Fabrik, Kliniken wieder zu Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu machen, wurden von Vertreter*innen von ver.di und des DGB aufgegriffen, um sie in die Tarifverhandlungen und in den Bundestagswahlkampf hineinzutragen. Dazu gehören der Stopp der Privatisierung und eine Rekommunalisierung der Krankenhäuser, das Verbot der Gewinnerzielung, stattdessen eine Bedarfs- und Ausstattungsplanung nach demokratischen Prinzipien und die Vollfinanzierung der notwendigen Personal- und Sachkosten.

Plenums-Diskussion (20 Uhr – 21 Uhr)

Zurück zur „Normalität“ oder Transformation in eine sozial-ökologische Gesellschaft? – Erkenntnisse aus der „Corona-Krise“ über den Zustand der kapitalistischen Gesellschaft und politische Perspektiven

Über Konsequenzen und politische Strategien diskutieren wir im Plenum mit Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup, Prof. Dr. Frank Deppe, Klaus-Dieter Gleitze, Manuela Kropp und Dr. Nadja Rakowitz

„Die kleinen Leute rundherum, die sich wegen der Krise immer weniger leisten können, werden sauer. Und ihre Pensionskassen leiden wegen der Nullzinsen. Der Lebensstandard sinkt. Die Leute werden wütend. Wenden sich gegen Merkel. Wenden sich hin zur AfD. In den USA hin zu Trump. Weshalb Merkel oder die Liberaldemokraten in den USA sich selbst nach rechts wenden, um diese Leute wieder abzuholen. Das ist der Kreislauf. Er ist toxisch. Er ist der Grund, warum die Rettung der Wall Street 2008 den neuen Faschismus entfesselt hat.“

Frage:
Das klingt, als würde derzeit jede Entwicklung am Schluss immer den schlimmstmöglichen Verlauf nehmen.

„Antonio Gramsci hat mit Blick auf die 1930er-Jahre gesagt, das Problem jener Generation sei es gewesen, dass das Alte gestorben sei, aber das Neue sich geweigert habe, geboren zu werden. In diesem Interregnum, wo das System kollabiert ist, aber ein neues System noch nicht geboren wurde, herrscht Chaos und große Unsicherheit, und deshalb kann in dieser Zeit alles passieren. Die Dreißigerjahre schufen den Boden für die große Tragödie des Zweiten Weltkriegs. Jener Krieg fiel exakt in die Zeit des Interregnums zwischen dem Kollaps von 1929 und der Periode der Stabilität und des steten Wirtschafts­wachstums, die nach 1945 folgte. Dazwischen: Krieg und Chaos. Und in einem solchen Dazwischen befinden wir uns heute. Zwischen dem, was 2008 mit der Finanzkrise gestorben ist, und dem, was noch geboren werden muss. Das Alte ist tot, aber das Neue ist noch nicht geboren. Alles ist möglich.“

(Yanis Varoufakis im Interview; www.republik.ch am 14.11.2020)

Hinweise

Die Konferenz findet als interaktive Video- und Präsenzveranstaltung statt.
Für die Online-Teilnehmenden wird der Zugangslink vor der Veranstaltung übersandt.

Die Nds. Corona-Verordnung erlaubt in der ab 1.12.20 gültigen Fassung Veranstaltungen mit sitzendem Publikum mit bis zu 50 Teilnehmer*innen.

Um die Gesundheit aller Teilnehmer*innen zu schützen, gehen wir umsichtig und verantwortlich miteinander um und beachten die jeweils gültigen Bestimmungen zum Schutz vor Corona und das für den Veranstaltungsort geltende Hygienekonzept.

Dazu gehören u.a.:

  • das Erheben der Kontaktdaten (Familienname, Vorname, vollständige Anschrift, Telefonnummer)
  • das Einhalten der Abstandregel
  • das Tragen einer Mund- Nasenbedeckung außerhalb des Sitzplatzes

Menschen, die ungeklärte Grippe-Symptome zeigen oder in Kontakt mit Covid 19-Infizierten gekommen sind, bitten wir von einem Besuch der Veranstaltung abzusehen.

Aufgrund der Beschränkung der Anzahl der Teilnehmer*innen ist eine Anmeldung erforderlich.

Anmeldung bitte bis zum 6.12.2020
per eMail an gramsci-tage@biap-braunschweig.de

oder postalisch an
BIAP c/o Norbert Kueß
Roonstraße 17
38102 Braunschweig