Richard Detje: „Rechtspopulismus und Gewerkschaften – Eine arbeitsweltliche Spurensuche

Kurzbeschreibung zu Workshop 3

Richard Detje begab sich mit seinen Zuhörer*innen auf eine arbeitsweltliche Spurensuche, bei der er die Ergebnisse einer Studie (des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München und WISSENTransfer in Hamburg in einer qualitativen Befragung unter Gewerkschafter*innen, unterstützt durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung) vorstellte, die der Frage nachgeht, warum Rechtspopulisten unter Gewerkschaftsmitgliedern zum Teil überdurchschnittliche Erfolge erzielen und was die Hintergründe dafür sind. Einführend legte Detje die Aktualität Gramscis am Beispiel von dessen Faschismus-Analyse dar. Gramsci hat schon während der direkten Auseinandersetzung mit dem italienischen Faschismus, also in dessen Entstehungszeit, Mitte der 1920er-Jahre darauf hingewiesen, dass der Faschismus nicht nur eine bourgeoise Erscheinungsform ist, sondern auch Elemente einer sozialen Bewegung beinhaltet, die es im Kampf gegen den Faschismus zu berücksichtigen gilt. Das wurde damals versäumt und sollte uns heute nicht wieder passieren, denn Vergleichbares lässt sich auch bei den heutigen Rechtspopulisten feststellen, die neben ihrer bourgeoisen Abkunft eben auch Ausdruck einer sozialen Bewegung, einer Unzufriedenheit in Teilen der Gesellschaft sind. Damit leitete Detje über zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Den „Klimawandel“ in den Betrieben datierte er auf das 2. Halbjahr 2015. Die Verschiebung der vertikalen Konfliktachse von „unten – oben“ (herkömmlicher Klassenkampf nach Marx: Die wenigen Reiche oben beuten die Unterschicht aus) zur horizontalen Konfliktachse („wir“ – „die anderen“; „drinnen“ – „draußen“; „Volk“ – „Fremde“) stellt eine Zeitenwende und antigewerkschaftliche Positionierung dar (Rassenkampf statt Klassenkampf). Es kommt zu einer Überlagerung der beiden Achsen, die eine vernünftige Auseinandersetzung in den Betrieben erschwert. Es wäre, so Detje, nicht ganz richtig, dies allein als Wiederkehr neoliberalen Gedankenguts (wie bei M. Thatcher: „Ich kenne nur Individuen“) zu kennzeichnen, da es mit dem Wunsch nach einem neuen Kollektivzusammenhang einher geht („wir“ = das Volk). Hier fungiere – einem Deutungsversuch des tschechischen Historikers Miroslav Hroch folgend – die Nation als Ersatz für Integrationsfaktoren in einer desintegrierten Gesellschaft. Das bis hierhin Vorgetragene führte in einer „arbeitsweltlichen Zuspitzung“ als zentrale These zu einem „Regime der Unsicherheit“, das durch vier situationsbeschreibende Faktoren gekennzeichnet ist:

  1. Sicherheitsverlust (sozialer Abstieg heute jederzeit möglich),
  2. Kontrollverlust (Erwerbsbiographie kann nicht mehr selbst gestaltet werden)
  3. Anerkennungsverlust (Markt belohnt Leistung nicht mehr, keine soziale Marktwirtschaft)
  4. Perspektivverlust (fehlende Zukunftsmodelle, keine Aufstiegsmöglichkeiten)

Damit ist der gesellschaftliche Nährboden für die Erfolge der AfD beschrieben, die auch unter dem Schlagwort der politischen „Repräsentationskrise“ eingeordnet werden können. Während auf dem Höhepunkt der letzten großen Weltwirtschaftskrise 2008/09 noch eine „adressatenlose Wut“ zu bemerken war, fand die politische „Klimaveränderung“ 2015 eine Empörungsadresse (Flüchtlinge) und einen Sprecher (AfD/Pegida), der die Islam- und Migrationskritik geschickt als diskursive Klammer nutzt, die in verschiedenen Milieus wirkt. Damit einher geht die politische Neuformierung der Rechten, die gezielt Provokation und Tabubruch als „häretische Subversion“ einsetzen und dem TINA-Prinzip der Herrschenden widersprechen. So bilden sich „häretische Weltbilder“ heraus, die eine Abkehr von der hegemonialen Weltsicht darstellen. Hier wird zweifellos die Systemfrage von rechts gestellt. Vor allem bei den anstehenden Landtagswahlen 2019 in Ostdeutschland wird die AfD versuchen, die „soziale Frage“ in ihrem Sinn zu stellen und die Linke damit zu verdrängen.

In der anschließenden Diskussion wurden Möglichkeiten und Gegenstrategien gewerkschaftlicher Arbeit und linker Politik besprochen. Richard Detjes Empfehlung für linke Parteien lautete: Das Feld der „betrieblichen Arbeit“ stärker als bisher in den Blick zu nehmen und im Lebenszusammenhang zu verstehen, denn die „soziale Frage“ muss richtig, also von links gestellt werden.

Im Detail nachzulesen ist diese Studie, die nicht nur für die politische Arbeit von linken Gewerkschaftsmitgliedern, sondern auch für die LINKE enorm anregend sein wird, in dem im VSA-Verlag erschienenen Buch: Rechtspopulisten erzielen unter Gewerkschaftsmitgliedern zum Teil überdurchschnittliche Erfolge. Was sind die Hintergründe?  von Dieter Sauer / Ursula Stöger / Joachim Bischoff / Richard Detje / Bernhard Müller (216 Seiten, € 14.80, ISBN 978-3-89965-830-9).

Dr. Erwin Petzi