Freitag, 25.10.2024, Braunschweig, Haus der Kulturen
Eingangs erläutert Ingar Solty das Entstehen des Neoliberalismus als ein Klassenprojekt des Kapitals zur Überwindung der Profitklemme, die sich am Ende des keynesianischen Nachkriegskapitalismus eingestellt hatte. Dieses gelang durch die Brechung der drei Säulen antikapitalistischer Gegenmacht: der Gewerkschaften, der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen des globalen Südens und des Staatssozialismus. Ein globales Absenken der Lohnquote, Privatisierung, Deregulierung und Handelsliberalisierung führten dazu, dass sich die Profite wieder einstellten. Das Ungleichgewicht zwischen steigender Kaptalanhäufung und abnehmenden Anlagemöglichkeiten führte dazu, dass immer mehr Kapital in spekulative Anlagen auf den Finanzmärkten floss. Den „Ground Zero“ des Neoliberalismus sieht Solty in der Finanzkrise 2007/8, die eine Folge der ausgreifenden Finanzmarktspekulationen war. Alle folgenden Krisen lassen sich auf diese Zäsur zurückführen.
Wesentlich besser als der Westen hat China diese Krise bewältigt, mit einer Strategie der Regulierung und des Staatsinterventionismus anstelle der westlichen Austeritätspolitik. Historisch erstmalig sehen sich die USA einem Konkurrenten gegenüber, der ihre globale Hegemonie bedroht. Ihre bisherigen Versuche, den Aufstieg Chinas einzudämmen, sind gescheitert. Anders als im alten Kalten Krieg können die kapitalistischen Staaten des Westens in dieser Situation nicht mehr auf eine innergesellschaftliche Hegemonie bauen. Prekarisierung und Polarisierung als Folgen neoliberaler Politik haben das Vertrauen in das politische System in breiten Kreisen zerstört.
Der Kapitalismus wird daher postliberal sowohl nach innen – durch Unterdrückung von und Repression gegenüber Kritiker:innen – als auch nach außen – durch einen Wirtschaftskrieg und Militarisierung der Außenpolitik. Damit treibt er die Welt in eine neue Blockkonfrontation, einen neuen Kalten Krieg, der die Gefahr der Eskalation zu einem großen Krieg in sich birgt.
Die Aufgabe der Linken muss es sein, so Ingar Solty, eine solche Blockkonfrontation unbedingt zu verhindern. Der Schlüssel dazu liegt in den westlichen Gesellschaften selbst. Die Voraussetzung für soziale Kämpfe und Friedenspolitik ist eine Überwindung des autoritär-nationalistischen Klimas innerhalb der Gesellschaften. Soziale Gerechtigkeit, Frieden und Klimapolitik sind heute nicht mehr voneinander zu trennen. Die linken Bewegungen, die diese Themen repräsentieren, müssen diese inhaltlichen Zusammenhänge zu einer subjektiven Konvergenz führen. Die Klimabewegung muss auch Friedensbewegung werden, und die Gewerkschaften müssen sich ebenso klima- und friedenspolitisch orientieren.
(Dokumentation: Norbert Kueß)
Download
Ingar Solty: Der postliberale Kapitalismus und seine Alternativen (Vortragsdokumentation)
Lektürehinweis
Ingar Solty: Der postliberale Kapitalismus. Renationalisierung – Krise – Krieg
(Erscheinungstermin April 2025)