Samstag, 26.10.2025, Braunschweig, Haus der Kulturen
Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zur „Beobachtung und Analyse des Gegners“ (Rosa Luxemburg). Sie soll dazu anhalten, das eigene Handeln der Linken selbstkritisch zu hinterfragen und die politischen Handlungsmöglichkeiten zu erwägen.
Judith Dellheim zeigt in Schlaglichtern die Vorgeschichte des BDI auf. Es folgen die Vorstellung des Verbandes und die Nachzeichnung von Meilensteinen auf dem Weg zur „Zeitenwende“ und ihrer Umsetzung, um hieraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Geschichte des Vorgängers des BDI, des 1919 gegründeten Reichsverbandes der deutschen Industrie(RDI), ist mit Aufrüstung, Autoritarismus und Kooperation mit der NSDAP verbunden. Das Ganze mündet in die Verstrickung in Krieg, Mord und Zwangsarbeit.
Der 1949 gegründete Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) versteht sich von Beginn an als außenpolitischer Akteur, der die Exportinteressen der westdeutschen Industrieunternehmen repräsentieren und durchsetzen, aber auch in die politische Gestaltung Europas hineinwirken will. Er unterhält regelmäßige Kontakte zu den anderen beiden Spitzenverbänden der dt. Wirtschaft, in die Bundesregierung und in das Parlament. Er ist in allen Bundesländern und auf EU-Ebene vertreten und unterhält internationale Büros.
Im BDI sind heute 40 Branchenverbände mit mehr als 100.000 Unternehmen vereinigt, die ca. 8 Mio. Arbeitskräfte beschäftigen. Hierzu gehört der 2009 gegründete Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der eng mit weiteren Branchenverbänden wie der Bitkom, der Luft- und Raumfahrtindustrie, der Wirtschaftsvereinigung Metalle u.a. kooperiert. In der NATO ist der BDSV in der Industrial Advisory Group (NIAG) und in der Konferenz der Rüstungsdirektoren vertreten.
Schon ab 1952 entstehen Gremien, die eine Forcierung der Rüstung betreiben. 1967 wird auf Initiative des BMV die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) gegründet. Der BDSV wird dort Mitglied.
Nach 1990 drängen Rüstungsbetriebe auf eine stärkere Förderung der Verteidigungsindustrie, mit der Begründung, Deutschland müsse seinen Bündnisverpflichtungen stärker nachkommen, gegen den Terrorismus vorgehen und international eine größere Rolle spielen. Immer wieder greift der BDI mit Stellungnahmen, Berichten und Initiativen in die politische Debatte ein. 2002 beklagt er zu hohe Arbeits- und Sozialkosten und einen stark unterfinanzierten Rüstungshaushalt. 2004 verweist er auf ein „Hand-in-Hand“ von ziviler Industrie und Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.
Die imperiale Reaktion Russlands auf die empfundene Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen durch den Westen dient dem BDI als Argument für eine weitere Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Die außenpolitischen Interventionen werden nun offensiver, Regierungspapiere werden begutachtet und kommentiert. Die Argumentation folgt dabei dem Dreiklang von Technologie- und Industriestandort Deutschland, Rüstungskooperation in der EU und starke transatlantische Zusammenarbeit. 2017 fordert er u.a. die Auflösung der Zivilklausel in der Forschung. 2023 fordert die Chefin des Sicherheitsausschusses im BDI verstärkte Investitionen in zivile und militärische Zukunftstechnologien und eine verstetigte strategische Zusammenarbeit von Staat und Industrie.
Parallel zur „Agenda 2010“ entsteht im Anschluss an die sog. „Lissabon-Agenda“ der EU eine neue militärpolitische Agenda, die den Ausbau der Bundeswehr vorsieht. Die IGM ist in diese Entwicklung eingebunden. 2014 vereinbaren Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der BDI-Präsident und der Vorsitzende der IGM die Gründung des „Bündnisses Zukunft der Industrie“. Das „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ (2015) spricht von einem „umfassenden Meinungsaustausch mit der Verteidigungswirtschaft, Betriebsräten und der IG Metall“ in zwei Branchendialogen.
Im Februar 2024 legen das Wirtschaftsforum der SPD, die IG Metall und der BDSV gemeinsam das Papier „Souveränität und Resilienz sichern. Industriepolitische Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ vor, in dem eine aktivere staatliche Planung, mehr wirtschaftspolitische Förderung und die Absenkung ökologischer Standards gefordert wird. (Vgl. hierzu Workshop 4)
Für Judith Dellheim zeigen die Erkenntnisse, dass die Linke es versäumt habe, eine kontinuierliche „Feindbeobachtung“ und eine Analyse der eigenen politischen Wirkungsbedingungen und Herausforderungen zu vorzunehmen. Selbstkritisch sei daher zu analysieren, was künftig besser gemacht werden kann. Nötig sei ein Watch-Center für den BDI, das mit anderen NGO’s wie der IMI kooperiert.
Und schließlich: Wenn über gute Arbeit gesprochen werde, sollte sich der Diskurs nicht auf die Arbeitsverhältnisse beschränken, sondern auch die Arbeitsinhalte einbeziehen.
(Dokumentation: Norbert Kueß)
Lektürehinweise
Judith Dellheim: Die Herstellung der „Zeitenwende“. Zur gesellschaftlichen Rolle des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI)
Judith Dellheim: Der BDI als Katalysator der multiplen Krise und der „Zeitenwende“. In: Z Nr. 136, Dezember 2023