Samstag, 26.10.2025, Braunschweig, Haus der Kulturen
mit Lena Fuhrmann, Betriebsrat Salzgitter Flachstahl GmbH, Matthias Wilhelm, IG Metall Salzgitter-Peine, Tobi Rosswog, Aktivist, und Lars Hirsekorn, Betriebsrat Volkswagen Braunschweig, sowie Dr. Judith Dellheim und Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja;
Moderation: Jürgen Reuter
Die Diskussion befragt zwei aktuelle Projekte nach ihrem transformatorischen Potential im Sinne revolutionärer Realpolitik, wie sie auf der Tagung diskutiert wurde.
- Die Salzgitter Flachstahl GmbH betreibt mit dem regional bedeutsamen SALCOS-Projekt bereits aktiv die Umstellung auf eine nahezu CO2-freie Stahlproduktion. Die öffentliche Steuerung und Beteiligung spielen dabei genauso eine Rolle wie die betriebliche Mitbestimmung.
- Vor drei Jahren hat die Belegschaft des ehemaligen Autozulieferers GKN bei Florenz mit der Gründung der Genossenschaft „Colletivo Di Fabbrica – Lavoratori GKN Firenze“ reagiert. Die Arbeiter:innen kämpfen für die Kontrolle über die Produktion und eine ökologische Produktpalette.
zu SALCOS
Lena Fuhrmann, als Betriebsrätin zuständig für SALCOS und Mitglied im Aufsichtsrat der hebt Salzgitter AG, hebt in ihrem Input die hohe Identifikation der Belegschaft mit dem Betrieb, das ausgeprägte Klassenbewusstsein und den hohen Mobilisierungsgrad hervor. Durch die paritätische Mitbestimmung im Montanbereich sei die Position des Betriebsrates gestärkt, so dass auch Einfluss auf Investitionsentscheidungen genommen werden könne.
Das Projekt SALCOS (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) geht aus der Betriebsratsinitiative „Stahl ist Zukunft“ zur Umstellung auf eine CO2-neutrale Stahlproduktion hervor. Über einen in drei Schritten verlaufenden Prozess bis 2033 soll bei gleichbleibender Produktionskapazität eine Stahlproduktion mit um 95% verringertem CO2 -Ausstoß erreicht werden. Gelingen soll das durch die Ersetzung des Reduktionsstoffes Kohlenstoff durch Wasserstoff im sog. CDA-Verfahren. Das Ende der ersten Ausbaustufe mit 30% CO2-Reduzierung ist für Ende 2025 avisiert. Eine Pilotanlage ist bereits in Betrieb.
Unerlässliche Rahmenbedingungen hierfür sind die ausreichende Versorgung mit „grünem“ Wasserstoff und regenerativ erzeugtem Strom. Anliegen des Regionalen Transformationsnetzwerkes SüdOstNiedersachsen (ReTraSON) ist es, hierbei auch die Region einzubeziehen, wie Matthias Wilhelm erklärt. Wichtige Aspekte sind die Sicherung eines autarken Betriebes, aber auch der Erhalt der kompletten Wertschöpfungskette am Standort und in der Region. Gesellschafter dieser Allianz für die Region sind neben Landkreisen, Städten und dem Regionalverband der Arbeitgeberverband, die IHK, die IG Metall, die Salzgitter AG, Banken, eine Versicherung und Medienunternehmen.
In der Diskussion wird deutlich, dass die Versorgung mit grünem Wasserstoff eines der Hauptprobleme darstellt. Da dieser in Deutschland nicht in ausreichender Menge erzeugt werden kann, plant die Bundesregierung für eine Übergangszeit grauen Wasserstoff aus Norwegen zu beziehen und später auf Importe aus Marokko, der Westsahara und Namibia zurückzugreifen. Die Diskussionsrunde ist sich einig, dass diese Problematik angesichts der zentralen Bedeutung dieses Rohstoffes nicht, wie beabsichtigt, marktförmig sondern durch eine Vergesellschaftung der Infrastruktur gelöst werden müsse. Angesichts der Knappheit von Wasserstoff sollte dessen Einsatz auch wohl erwogen werden. Der Stahlproduktion komme hier eine Priorität zu.
Die Belegschaft trage die Transformation mit, so Lena Fuhrmann. Bedeutsam für die Akzeptanz sei auch, dass hiermit keine Einkommensverluste verbunden seien. Der Betriebsrat fordere, dass günstige Voraussetzungen für Qualifizierungsmaßnahmen geschaffen und ein unumgänglicher Arbeitsplatzabbau sozialverträglich gestaltet werde.
Als ein weiterer Aspekt des Arbeitskampfes wird die Solidarität mit anderen Stahlstandorten in Deutschland und international thematisiert.
zu GKN
Lars Hirsekorn, Betriebsrat bei Volkswagen, und Tobi Rosswog, Klimaaktivist, unterstützen gemeinsam die aus dem Arbeitskampf der GKN-Belegschaft entstandene Produktionsgenossenschaft „Colletivo Di Fabbrica – Lavoratori GKN Firenze“ (Fabrikkollektiv GKN-Arbeiter Florenz). Für Lars Hirsekorn ist die Initiative ein Beitrag zu der Frage, wie eine Automobilproduktion transformiert werden könnte.
Es wird zunächst ein auf labournet.tv abrufbarer Film (https://de.labournet.tv/die-gkn-fabrikbesetzung-braucht-deine-hilfe; ca. 9 Minuten) gezeigt, der über die Hintergründe und Entwicklung des Arbeitskampfes informiert.
Der Film berichtet, dass die Fabrik mit großer gesellschaftlicher Unterstützung seit mehr als 2 Jahren von der Belegschaft besetzt ist. Die Arbeiter:innen haben die Produktion von Automobilteilen auf die Herstellung von Lastenrädern und Solarpaneelen umgestellt. Auslöser des Kampfes ist der Kauf der GKN-Group durch den spekulativen Finanzfond Melrose im Jahr 2018, der einen Stellenabbau und Schließungen befürchten lässt. Im Juli 2021 wird die gesamte Belegschaft entlassen. Mit breiter öffentlicher Unterstützung gelingt es, eine Rücknahme der Kündigungen zu erreichen. Jedoch wird auch nach einem Eigentümerwechsel die Produktion nicht wieder aufgenommen; zudem werden die Lohnzahlungen ausgesetzt. In Kooperation mit der Klimabewegung, durch solidarische Unterstützung in Selbsthilfevereinen und über die Gründung einer Genossenschaft gelingt es, den selbst entwickelten Produktionsplan umzusetzen und damit gleichzeitig einen Wandel zu ökologischen Produkten zu vollziehen.
Aus der Sicht von Lars Hirsekorn haben es hier 420 Menschen geschafft, eine kulturelle Hegemonie zu erlangen. In Kooperation mit der Klimabewegung und der Wissenschaft hätten sie einen unglaublichen öffentlichen Druck erzeugt. Dies sei ein Beispiel dafür, wie man einen transformativen Kampf führen könne.
Allerdings sei die Initiative inzwischen an einem Scheidepunkt. Nach 3 Jahren Kampf und eineinhalb Jahren ohne Gehalt – trotz mehrerer verpflichtender Gerichtsurteile – seien die Kräfte nun weitgehend erschöpft. Aktuell fordert die GKN-Belegschaft die Anwendung eines regionalen Gesetzes, das den Besitzer einer Fabrik zur Re-Industrialisierung des Unternehmens verpflichtet. Bis zum 15.11.25 soll das toskanische Parlament entscheiden, ob die Belegschaft das Gelände zugesprochen bekommt. Hiervon hängt auch die weitere Unterstützung durch die Bank ab.
Tobi Rosswog ergänzt, dass ihn bei Besuchen vor Ort die Anknüpfung an die Tradition des Arbeitskampfes und die große soziale Eingebundenheit beeindruckt hätten. Lars Hirsekorn bemerkt, dass dieser Film auch auf Kolleg:innen im VW-Konzern, die sich häufig ohnmächtig und einflusslos fühlten, inspirierende Wirkung entfalte.
Kritisch wird diskutiert, dass auch die Genossenschaftslösung kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sei. Die eigentliche Frage sei daher, wie es gelingen könne, eine aus ineinandergreifenden Bausteinen bestehende demokratisch geprägte gesellschaftliche Gegenbewegung zu entfalten, die diesem Druck standhalte.
(Dokumentation: Norbert Kueß)
Download der Präsentationen
Matthias Wilhelm: ReTraSON – Regionales Transformationsnetzwerk SüdOstNiedersachsen.
Link zum Film:
Die GKN-Fabrikbesetzung braucht deine Hilfe (labournet.TV)